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Hugo Staehle (1826 - 1848)

Einführungsvortrag
von Dr. Wolfram Boder

3. Internationales Hugo Staehle Festival für Junge Pianisten
Dozentenkonzert

am 17. Oktober 2008, 19.30 Uhr
Schloßhotel Bad Wilhelmshöhe

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Meisterschülerinnen und Meisterschüler,
der eine oder die andere von Ihnen wird sich sicher schon gefragt haben, wer eigentlich Hugo Staehle war und weshalb dieses Festival nach ihm benannt wurde. Vermutlich wird Ivan Urvalov diese Frage gleich mit seinem Vortrag von zwei Kompositionen viel besser und überzeugender beantworten, aber ich möchte dennoch versuchen ihr zuvor auch mit den Mitteln des Wortes etwas nachzugehen. Mit Hugo Staehle als Namenspatron sollte in erster Linie ein Kasseler Musiker geehrt werden, dessen hoffnungsvolle Karriere leider durch einen viel zu frühen Tod jäh abgebrochen wurde. So geriet er zu Unrecht in Vergessenheit und es ist ein Anliegen der Namenswahl, ihn wieder in Erinnerung zu rufen. Zum anderen aber verweisen viele Umstände in Staehles Leben auf die Ideale, die dieses Festival ebenso prägen wie die Louis-Spohr- Stiftung, die es mitträgt.

Staehle war nämlich einer der begabtesten Schüler Louis Spohrs. Dessen pädagogisches Wirken und die ihm zugrunde liegenden Prinzipien können bis heute allen Musikpädagoginnen und Musikpädagogen als leuchtendes Vorbild dienen. Schließlich sind Spohrs über 200 Schülerinnen und Schüler der Musikwissenschaft bis heute als die so genannte Kasseler Schule bekannt. Und nicht nur das, sie prägten auch das Musikleben Deutschlands und Europas im späten 19. Jahrhundert nachhaltig. So nutzte zum Beispiel der Amerikaner Urelli Corelli Hill, der eigens nach Kassel gereist war, um bei Spohr Unterricht zu nehmen, seine hier gemachten Erfahrungen, als er in New York 1842 das älteste noch heute bestehende Symphonieorchester der USA, die New Yorker Philharmoniker, gründete. In Finnland ist der Spohr-Schüler Frederic Pacius als Komponist der Nationalhymne bekannt. Als Geiger, Chorleiter und Konzertveranstalter leistete er Entscheidendes für die Entwicklung der finnischen Musikkultur, so dass er vielen als „Vater der finnischen Musik" gilt.

Neben der Nationalhymne stammt auch die erste in Finnland komponierte Oper, „König Karls Jagd" aus seiner Feder. Johann Peter Emilius Hartmann erlangte eine ähnliche Bedeutung für das dänische Musikleben, Jan Hornzil wurde der erste Geigenlehrer von Henrik Winiawsky. Die Liste ließe sich lange fortführen. Gemeinsam ist allen, dass sie vor allem an der musikalischen Basis arbeiteten und eine unerhörte Breitenwirkung entfalteten. Dies geht sicherlich zu einem großen Teil auf die Besonderheiten der musikalischen Ausbildung bei Spohr zurück.

Schon in Gotha hatte Spohr seinen Schülerinnen und Schülern nicht nur das Geigespielen beigebracht, er hatte mit ihnen auch umfangreiche Lehrwanderungen unternommen und beispielsweise auch Bergwerke besucht oder war mit ihnen Schwimmen gegangen. Beeinflusst vom Philantropinismus strebte Spohr etwas an, was wir heute eine ganzheitliche Erziehung nennen würden. Hier spielte sein Streben nach Autonomie und Würde des Künstlers eine wichtige Rolle, denn er war überzeugt, dass sich dieses Ziel nur erreichen lässt wenn die Künstler selbst entsprechend auftraten. So bestand er auf dem Erlernen von mindestens einer Fremdsprache, geistiger Bildung und sportlicher Betätigung. Während immer mehr seiner Kollegen den Weg einer Spezialisierung auf das virtuose Spiel einschlugen, mussten Spohrs Schüler auch auf unterschiedlichen Positionen in seinem Orchester mitspielen und ein zweites Orchesterinstrument erlernen. Sie erlangten so wertvolle Erfahrungen, die ihnen im späteren Berufsalltag unschätzbare Dienste leisteten. Auch auf die Pflege der Kammermusik legte Spohr grössten Wert. Er versuchte, den musikalischen Horizont seiner Schüler möglichst weit zu halten und das Verständnis für unterschiedliche Musik zu wecken, wie er es selbst als Orchesterleiter vorlebte. Sein Freund und ehemaliger Schüler Moritz Hauptmann übernahm in Kassel den Theorie- und Kompositionsunterricht. Diese Vielschichtigkeit der Ausbildung machte ich in den Lebenswegen seiner Schüler bemerkbar.

Unter den Schülerinnen und Schülern Spohrs finden sich daher auch viele Doppelbegabungen und insbesondere findet sich eine Riege hervorragender Pianisten unter den Schülern des Geigers Louis Spohr. An erster Stelle ist hier sicherlich Norbert Burgmüller zu nennen. Sein älterer Bruder Friedrich ist noch heute vielen Pianisten wegen seiner Etüden bekannt, während Norberts Rhapsodie für Klavier in h-Moll und seine Klaviersonate in f-Moll Werke von höchster Qualität sind, die viel zu selten gespielt werden. Zu den pianistisch begabten Schülern Louis Spohrs zählte auch Hugo Staehle, der 1826 als Sohn eines kurhessischen Offiziers in Fulda geboren wurde. Schon früh erhielt er auf Veranlassung der Mutter Klavierunterricht. Als Glücksfall für die musikalische Entwicklung Staehles erwies sich die Versetzung seines Vaters nach Kassel 1829. Hier erhielt er Klavierunterricht durch den Spohrschüler Wilhelm Deichert. Ab 1839 wurde er von Moritz Hauptmann in Kassel unterrichtet, der seinem ehemaligen Lehrer Louis Spohr hier bei der Ausbildung seiner Schüler assistierte. Nach 1842 übernahm Spohr neben dem Violin- auch den Kompositionsunterricht des hoffnungsvollen jungen Musikers selbst, der gleichzeitig schon selbst als Klavierlehrer tätig wurde. Spohr scheint Staehle sehr geschätzt zu haben und ließ in zeitweilig sogar bei sich wohnen. Staehle machte auch schon bald durch seine Kompositionen auf sich aufmerksam. Um seinen Horizont zu erweitern, wurde er 1843 nach Leipzig geschickt, wo er Klavierunterricht bei Louis Plaidy und Violinunterricht bei dem ehemaligen Schüler Spohrs Ferdinand David nahm. Dennoch war die Zeit in Leipzig keine glückliche, sondern vielmehr von Einsamkeit und Melancholie geprägt, was sicherlich auch seinen Grund in Staehles Charakter hatte. Franz Uhlendorff schreibt dazu in den Lebensbildern aus Kurhessen und Waldeck:

"... Er war – wie Robert Schumann, mit dem er manche Aehnlichkeit gehabt haben muß – eine ganz nach innen gekehrte Natur, ein Schweiger von ernstem, an das Finstere grenzenden Wesen, dessen tiefes, ja weiches Gemüt nach außen nicht hervortrat. Schon als Kind zeigte er sich abgeschlossen, auch in späterer Zeit vernahmen die Seinen bis zu seiner letzten Krankheit kein zärtlich liebevolles Wort von ihm. Die gesellschaftliche Konvenienz mißachtete er, nur in seiner Musik und im Umgang mit seinen nächsten Freunden erschloß sich neben seinem sehr scharfen und logischen, energischen Verstande ein für die zartesten Eindrücke empfängliche Seele. Doch selbst sein späterer Intimus Jacob Hoffmeister klagt, daß es ihm nie gelungen sei, Staehle „ein Wort der Liebkosung oder Zärtlichkeit“ zu entlocken, daß dieser vielmehr auch ihm immer „eine ungewöhnliche Passivität und Kälte gegenübergesetzt“ habe. Sprach er aber einmal, besonders über Kunstangelegenheiten, so zeigte er eben strengster Wahrheitsliebe ein durchdachtes, bestimmtes und rücksichtslos unbestechliches Urteil, dem übrigens eine unerbittliche Selbstkritik entsprach (nach eigener Aeußerung hatte er nie eine ungetrübte Freude an seiner Musik, das Kriterium des wahren Künstlers!). Nie auch ist eine Schmeichelei über seine Zunge gekommen, wie er andererseits ein kritikloses bloßes Lob seiner eigenen Sachen durch andere verachtete.
..."

Im März 1844 kehrte Staehle nach Kassel zurück. Hier entstanden auch die beiden Klavierstücke, die Sie gleich hören werden. Das erste vor der Leipziger Zeit, 1842, das zweite danach, 1844. Dieser Tage sind sie im Kasseler Verlag Merseburger erstmals im Druck erschienen. Zu Lebzeiten Staehles wurden nur wenige seiner Werke gedruckt. Ein Band mit Klavierstücken, die Albumblätter op. 3, erschien 1848 bei Schuberth in Hamburg, wo auch sein Klavierquartett in A-Dur gedruckt wurde; der Kasseler Verlag Luckhardt brachte 1848 einen Band mit drei Scherzi für Klavier heraus.

Gemeinnsam mit seinem besten Freund, dem „Muss-Juristen" und Kasseler Literaten Jakob Hoffmeister, der das Libretto verfasste, arbeitete Staehle auch an einer Oper. Die Uraufführung seiner „Arria" durch Louis Spohr im Kasseler Hoftheater am 24. Mai 1847 erlebte Staehle noch. Doch kaum ein Jahr später, am 29.März 1848, verstarb er im Alter von nicht einmal 22 Jahren an Hirnhautentzündung. Das Schicksal meinte es wahrlich nicht gut mit diesem begabten jungen Mann. Auch zu Lebzeiten hatte er es oft nicht leicht, was nicht zuletzt auch an seiner sehr konsequenten und selbstkritischen Art lag. Diese zeigt sich deutlich im folgenden Ausschnitt eines Briefes an seine Eltern vom 30. Dezember 1844:
„wer meine Sachen loben will, der muß auch wissen, was daran zu rügen ist!" Nehmen Sie dies nun aber bitte nicht zu wörtlich und spenden Sie den nun folgenden musikalischen Beiträgen reichlich Lob und Beifall, aber vor allem: genießen Sie sie.

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