Er dirigierte die Kultur

Louis Spohr (1784-1859) bürgt für Kassels musikalischen Rang und Namen

Siegfried Weyh, Kassel

Hessisch Niedersächsische Allgemeine am 31. Dezember 2003
Serie: Wählen Sie die besten Kasseler

Er dirigierte die Kultur Louis Spohr (1784-1859) bürgt für Kassels musikalischen Rang und Namen Von Siegfried Weyh

"KASSEL. Was wäre, wenn ... Wenn Louis Spohr ein Kasseler von heute wäre, dann hätte er den Posten des Chefbeauftragten für die Kulturhauptstadtbewerbung sicher. Wer sonst brächte so viele Voraussetzungen mit: international geachteter Künstler mit Verbindungen zu den ganz hohen Herrschaften, integrer, humaner, sozial engagierter Repräsentant der deutschen Musikerelite wie der Kasseler Kulturszene, kenntnisreicher, mediengewandter Moderator und Plauderer, pädagogisches und organisatorisches Genie.

Unglücklicherweise hat er im vorvorigen Jahrhundert gelebt. Immerhin kann er sich damit trösten, dass sein nächstes Jubiläum sicher und vor einer möglichen Kulturhauptstadt?Proklamation terminiert ist. 2009, am 22. Oktober, liegt Louis Spohrs Tod 150 Jahre zurück.

Hofkapellmeister, das war damals sein Respekt gebietendes Amt in der kurhessischen Residenzstadt. Also ein Vorgänger heutiger Generalmusikdirektoren des Staatstheaters. Spohr bekleidete den hohen Posten 35 Jahre lang, seit 1822. Vielleicht überlebte er sich auch. 1857, mit 73, wurde er vom Kurfürsten zwangsentlassen, wenn auch mit allen Ehren und einer Pension in Höhe von zwei Dritteln des Vollgehaltes. Zwei Jahre später endete sein Erdendasein.

Als Spohr nach Kassel kam- in jener Zeit, als die Aufbruchstimmung nach den Siegen über Napoleon in die Restauration gemündet war -, hatte er bereits zwei Karrieren absolviert, die des neben Paganini berühmtesten Geigers seiner Zeit und die eines länger oder kürzer fest angestellten Hofmusikers (in Gotha Wien und Frankfurt). Er stammte aus einer Familie von Pfarrern und Ärzten, wurde 1784 in Braunschweig geboren und wuchs in Seesen am Harz auf. Schon 1802/03 reiste er als Junggeiger mit der herzoglich-braunschweigischen Kapelle nach Petersburg. Er begab sich immer wieder auf Reisen kreuz; und quer durch Europa, noch,1853 ein letztes Mal nach London.

Umso mehr wusste der 40-Jährige sein Standquartier zu schätzen: "Das Haus hat zwei Stockwerke und ist gerade geräumig genug, um uns bequem zu fassen. Der Garten mit herrlichen Obstbäumen, Lauben einem Gewächshaus usw. liegt halb vor dem Hause, und diese Hälfte besteht nur Lustpartien, und halb hinter dem Hause, einem Gemüsegarten." Der Herr Hofkapellmeister erwarb dieses Anwesen "vor dem Kölnischen Tor" (heute Friedenshof, neben dem Finanzamt Spohrstraße) 1823 und bewohnte es bis zum Tod. 1892 wurde es abgerissen.

"... um uns bequem zu fassen" - Spohr war 1806 eine echte Musikerehe eingegangen mit der drei Jahre jüngeren, weit über Deutschland hinaus renommierten Harfenistin Dorette Scheidler, die in der Folgezeit ihren Mann zu erlesenen Kompositionen für dieses feinsinnige Instrument anregte. Das Paar bekam vier Kinder, die beiden ältesten Töchter überlebten und begründeten die Kasseler Nachkommenschaft. Schmerzhaft wurde für den 50-Jährigen 1834 der Verlust der Lebensgefährtin, doch bald lernte er im Kasseler "Cäcilienverein" (Konzertchor) die 20 Jahre jüngere Marianne Pfeiffer kennen und heiratete sie 1836. Sie machte es ihm behaglich, sodass der hoch Geachtete in Kassel einen großen Kollegen- und Schülerkreis empfangen bzw. um sich scharen und in Mußestunden seine umfangreichen Lebenserinnerungen abfassen konnte.

Und selbstverständlich komponieren. Der Komponist Louis Spohr zählte in seinem Jahrhundert, dem romantischen 19., vor und neben Weber und Mendelssohn, Robert und Clara Schumann, Liszt und Wagner zu den unanfechtbaren, sogar stilbildenden, musikalischen Berühmtheiten. Ob Oper und Oratorium, Sinfonie und Instrumentalkonzert, Kammermusik, Lied und Chormusik - viele seiner 150 Werke können nach wie vor bestehen. Sie werden von gewissenhaften Interpreten und umsichtigen Programmgestaltern auch keineswegs verschmäht, in den angelsächsischen Ländern noch weniger als hier zu Lande. Die freilich wichtigere Nachricht für Kassel: Nach ihrer Renovierung soll die Louis-Spohr-Gedenk- und Forschungsstätte in Palais Bellevue 2004 wieder geöffnet werden.

zurück